Der Palmenstrand von Vai im Nordosten Kretas gehört zu den schönsten Stränden der Insel, wenn nicht sogar von ganz Europa. Eigentlich. Eine leicht geschwungene Bucht mit herrlichem klaren Wasser, feinem Sand und eben den berühmten Palmen, die einen ganzen Wald bilden. Die Einschränkung des perfekten Szenarios: Massen von Besuchern. Man parkt für 2,50 Euro auf dem großen Parkplatz, mietet sich für zehn Euro Sonnenschirm und Liegen und schaut dem quirligen Treiben am Strand und im Wasser zu. Badesee-Atmosphäre. Trotzdem: Vai lohnt. Wer um 8 oder 9 schon da ist, hat den Strand fast für sich allein und fühlt sich wie im Paradies. Ebenso am späten Nachmittag. Ein weiterer Pluspunkt: Es ist nichts zugebaut. Es gibt zwar ein Café und ein Restaurant am Strand, aber es gibt keine Hotels oder sonstigen Unterkünfte.
Vai bietet aber auch tagsüber Alternativen zum Trubel: Rechts die Treppen hoch zu einem kleinen Aussichtspunkt, dann einen engen Pfad entlang. Schon wird es einsam. Und einsam ist auch der schöne Sandstrand namens Psilos Ammos, zu dem nach kurzer Zeit ein Weg nach links abzweigt. Nicht ganz so spektakulär wie Vai selbst, aber immer noch großartig.
Der kleine Pfad hoch oben führt weiter und lässt jeglichen Tourismus vergessen. Er führt, immer gut mit roten Punkten markiert, zunächst durch eine grandiose Dünenlandschaft, dann durch steiniges Gelände. Nach etwa einer Stunde steigt man in ein Bachbett hinab, das zu dem kleinen und nun wirklich völlig einsamen Strand Megali Kefala führt. Grandios.
Ach ja – wie kommen eigentlich die Palmen in die Gegend um Vai? Waren es die Sarazenen, die 824 dort gelandet sein sollen, um Kreta zu drangsalieren, zuvor ihre mitgebrachten Datteln aßen und die Kerne ausspuckten? So wird’s hier und da berichtet. Aber die Kreter kamen schon immer gut ohne Invasoren aus, die Palme war auf der Insel schon lange heimisch und ist als „Kretische Palme“ bekannt. Es gibt sie auch bei Preveli im Süden, aber das ist vielleicht mal eine andere Geschichte.
Ein mystischer Ort. Die Sonne, noch tief
am östlichen Himmel, lässt das Wasser funkeln. Wind streicht sanft über den
hellen Sand und formt darauf zarte Wellenmuster. Weicher, weiß-beigefarbener
Mergel, vor Urzeiten zu einem kleinen Kliff geworden, markiert den Saum des
Strandes und harmoniert mit den klaren Farben des Meeres und des Sandes. Eine
kleine, vom Wind gebeugte Tamariske versucht, sich auf der Felsformation zu
behaupten, die die kleine Bucht von der nächsten trennt. Kein Mensch ist zu
dieser Stunde zu sehen, auf dem niedrigen Plateau über dem Mergelkliff liegen
einsam die Reste einer antiken Stadt. Nur ein paar Steinbrocken sind von ihr
übrig. Mittendrin eine Kapelle, weiß, mit blauem Dach und einem Glockenaufsatz.
Ein mystischer Ort.
Aber wir wollen heute weiter. Von Xerokambos durch die Berge zur Südküste, in
die Gegend von Makri Gialos. Wir nehmen den direkten Weg , auf kleinen, aber
gut ausgebauten Straßen. Richtung Ziros, kurz davor ab nach Agia Triada, weiter
nach Goudouras, dann immer die Küste entlang. Das sind vielleicht 50 Kilometer.
Und gerade der erste Abschnitt, von Xerokambos hoch in die Berge, ist absolut
großartig. In atemberaubenden Serpentinen schlängelt sich die Straße in die
Höhe, nach jeder Kurve ist der Blick nach unten phantastischer. Ich halte diese
Strecke für eine der großartigsten auf Kreta. Auch wenn ängstliche
Beifahrer(innen) hier zu einer gewissen Nervosität neigen können.
„Viel zu heiß“ sei es, hört man heute
aus Deutschland. Da ist es doch eine weise Entscheidung gewesen, dass wir uns
in den „kühlen Süden“ aufgemacht haben. Hier, in Xerokambos, sind es gerade 26
Grad, es weht ein angenehmer Wind, keine Wolke ist zu sehen, das Meer ist
herrlich ruhig, es brüstet sich geradezu mit seinen Türkis- und Blautönen.
Xerokambos? Der kleine Ort liegt an der Südostecke von Kreta. Weit entfernt vom
Massentourismus. Nur kleine Sträßchen führen hierher, von Palekastro aus oder -
ein größeres Unterfangen - von Ierapetra. Xerokambos hat grandiose Sandstrände,
an denen sich die wenigen Besucher verlieren, ein paar Kiesbuchten, kleine
Pensionen, Tavernen mit hervorragender Küche, höchst erfreulichen Preisen und
netten Besitzern. Die Umgebung des Ortes, eine der für Kreta so typischen trockenen
Gegenden, ist unberührt, ideal für Wanderungen durch Schluchten und auf die
Berge. Und wer die Augen offen hält, findet so einige Spuren von Kretas
jahrtausendealter Kultur.
Der wilde Osten der Insel ist ein Erlebnis für alle,
die auf Touristenansammlungen lieber verzichten. Da gibt es zum Beispiel das
„Schokoladendorf“, wie wir es nennen. Hat nichts mit Schokolade zu tun, ist
aber leichter zu behalten als der wirkliche Name Chochlakies. Ein Pfad
schlängelt sich durch eine Schlucht, natürlich die Schokoladenschlucht, ans
Meer, an einen der vielen tollen Strände.
Und Kato Zakros natürlich. Hier liegen nicht nur die
Überreste eines minoischen Palastes, hier beginnt auch der Weg durch das „Tal
der Toten“, eine der schönsten Wanderungen, die man auf Kreta unternehmen kann.
Ganz ohne Trubel, versteht sich.
Habt ihr schon mal eine Muräne gesehen?
Diese eher zu Unrecht gefürchteten schlangenähnlichen Fische mit den vielen
Zähnen? Gestern habe ich eine am Strand entdeckt. Tot. Um den Hals eine
Plastikschnur. Das arme Tier hat sich irgendwo darin verfangen und stranguliert.
Kein schöner Anblick, den ich euch dennoch nicht ersparen möchte. Das Meer ist
an dieser Stelle voll mit Plastikfolien und anderem Dreck. Das ganze an der
Nordküste, in einer großen Bucht. Keine Ausnahme, letztes Jahr war es genauso.
Ich habe nicht recherchiert, ob die Behörden nach den Ursachen geforscht und
was unternommen haben. Ich habe aber meine Zweifel.
Es dürfte nicht so schwer sein, herauszufinden, wo das Zeug herkommt, und die
Sache abzustellen. Es wäre ohnehin besser, beim Umweltschutz pragmatisch und
sachlich zu handeln, anstatt mit erhobenem Zeigefinger zu schwadronieren und
eine Ideologie daraus zu machen.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: In aller Regel ist das Wasser an Kretas
Stränden phantastisch. Um so schlimmer sind die Ausnahmen.
From the westcoast to the East - was in den USA recht lange dauert, ist auf Kreta in fünf, sechs Stunden zu schaffen. Unser knapp 340 Kilometer langer Weg von Falasarna ganz im Westen nach Palekastro an der Ostküste zeigt uns viel von der Unterschiedlichkeit der Insel und wird nie zur stressigen Tour, auch wenn Lastwagen oder unerfahrene Touristen mitunter die Geschichte arg verzögern. Die Schnellstraße im Norden führt an den größeren Städten Chania, Rethymnon, Heraklion und Agios Nikolaos vorbei und ist in gutem Zustand. Was sehr angenehm auffällt und ganz anders ist als in Deutschland: Die Kreter sind beim Autofahren sehr gelassen und tolerant. Niemand spielt sich als Schulmeister auf, niemand rastet aus, niemand hat es nötig, sich „durchsetzen“ zu wollen. Man erwartet Toleranz und man zeigt Toleranz. Kein schlechter Weg.
Auch Kreta hat Ecken, die man am besten
schnell hinter sich lässt. Der Bereich um Platanias zum Beispiel, an der Straße
von Chania nach Westen. Kilometerlang zugebaut mit Läden, Restaurants.
Menschenmassen überall. Doch die Szenerie ändert sich bald, und an der
entlegenen Westküste kommt die Entschädigung: Falasarna. Und da sind wir schon
fast in der Kategorie der Geheimtipps. Falasarna gehört zu den Orten Kretas, an
denen das Meer unglaublich ist. Ein weitläufiger Sandstrand, unterbrochen von
kleinen Buchten, kristallklares, ruhiges Wasser. Ein Stück rausschwimmen, sich
den ruhig heranrollenden Wellen überlassen, sanft hochgehoben werden, ins Tal
gleiten. Der Sonne entgegen, wo das Wasser dunkelblau erscheint und mit
funkelnden Lichtflecken übersät ist, auf dem Weg zurück über das intensive
Türkis staunen. Wer sich dem Meer überlassen kann, findet die absolute
Entspannung.
Falasarna hatte in der Antike eine gewisse Bedeutung,
war in hellenistischer Zeit eine Hafenstadt, wurde später von Römern und
Erdbeben zerstört. Die Küste hob sich um mehr als sechs Meter, das alte
Hafenbecken wurde bald zur staubigen Ödnis. Derzeit finden wieder Ausgrabungen
statt. Die Archäologen lassen sich nicht gerne in die Karten gucken. Aber ein
Teil von „Ancient Phalasarna“ kann man besichtigen – und sich vorstellen, wie
das alles einmal war.
Das neue Falasarna ist kein richtiger Ort, sondern
eine Ansammlung weit verstreuter Hotels, Pensionen und Tavernen. Trubel ist
hier unbekannt und die Landschaft grandios. Eben ein Geheimtipp.
Chania fand ich ganz toll, als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal dort war. Woran liegt es, dass eine eigentlich wunderschöne Stadt jetzt doch enttäuscht? Vielleicht, weil man sie nicht richtig sieht. Vor lauter Menschenmassen nämlich. Dieses Schicksal erleidet Chania, Kretas zweitgrößte Stadt, zur Zeit. Durch die engen, venezianisch geprägten Gässchen schieben sich die Touristen, sie drängen sich auf der Uferpromenade am venezianischen Hafen und lassen das Fort und den ältesten Leuchtturm Kretas nur noch als Hintergrundkulisse erscheinen. Dabei ist Chania wirklich sehenswert und jeder Reiseführer schwelgt in den architektonischen und historischen Attraktionen. Nur eine davongekommen will ich hervorheben: Ein Teil des heutigen Chania ist seit 5000 Jahren besiedelt. In minoischer Zeit, auch schon mehr als 3000 Jahre her, lag dort die Stadt Kydonia, von der einige prachtvolle Villen freigelegt wurden.
Wer Chania wirklich sehen will, hat vielleicht im Herbst Glück. Es lohnt sich unbedingt.
Es muss nicht immer Heraklion sein, wo das Flugzeug landet und der Kreta-Urlaub startet. Chania ist eine gute Alternative. Der kleine Flughafen liegt ein paar Kilometer von Kretas wohl schönster Stadt entfernt, und im Nu ist man in Stavros im Nordwesten der Halbinsel Akrotiri. Filmfans wird der Name wohl was sagen. Das Örtchen hat einen imposanten Berg und eine malerische kleine Bucht, eher schon eine Lagune mit stillem, türkisfarbenem Wasser. Und hier wurde 1964 der berühmte Film "Alexis Sorbas" gedreht, mit dem legendären Anthony Quinn in der Rolle des griechischen Originals Sorbas. Hier tanzte Quinn den Sirtaki nach der grandiosen Musik von Mikis Theodorakis - ein Stück Filmgeschichte. Fahrt mal hin, ladet euch ein Bild der berühmten Szene aufs Handy, sucht die Stelle, stellt euch vor den Berg, breitet die Arme aus und lasst ein Foto machen. Sieht vermutlich nicht ganz so aus wie bei Quinn, macht aber Spaß. Und dann ab in die Lagune, danach in eine der Tavernen des trotz aller Berühmtheit ruhigen kleinen Ortes. Und in den Tavernen ist der Geist von Sorbas lebendig.
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